Zum Verständnis

Zum Verständnis

Denken ist reflexiv und erzeugt - getragen von Achtsamkeit - aus seiner natürlichen Nähe zum Wahrnehmen und gemeinsam mit dem Wahrnehmen Bewusstes Sein. Der wahrgenommene Organismus, der wir sind, erfährt sich selbst und die Welt aus eben dieser Perspektive. Diese Einheit können wir nicht herstellen, sie ist, und das unverlierbar, in dieser Angelegenheit gibt es nichts zu tun. Dieses Nicht-Tun ist zu verstehen wie die natürliche Fähigkeit des Wassers, das - frei von äußeren Einflüssen - ohne Zutun zurückkehrt zur Stille. Stilles Wasser spiegelt die Wirklichkeit.

Mit der Verstrickung in die Sprache entfernt sich das Denken und die das Denken tragende Achtsamkeit soweit vom Realen, dass sich die Perspektive des Seins in eine Perspektive des sprachlichen Denkens verwandelt. Nicht der vom achtsamen Wahrnehmen durchdrungene Organismus der wir sind und dieser sinnlich erfahrene Augenblick stehen nun im Zentrum bewussten Seins, sondern ein in Sprache geronnenes Subjekt. Die unverlierbare Einheit von Denken und Wahrnehmen drückt sich nun darin aus, dass wir Wahrnehmen und Denken, was die Sprache vorgibt.

Wir glauben einen Körper wahrzunehmen, nur weil wir diesen denken. Tatsächlich handelt es sich um eine Fata Morgana, um eine Spiegelung des in die Sprache verstrickten Geistes [1]. Wer glaubt, einen Körper zu erfahren und zu spüren, verfehlt das Erfahren und Spüren des Ganzen. Wer den Zuschnitt unseres Fühlens und Spürens auf Begriffe verengt, verfehlt das Fühlen und Spüren des Ganzen. Im sprachlichen Denken mögen Geist und Körper existieren, im Wahrnehmen und Spüren aber existiert dieser ungeteilte Moment, der ganze Mensch. Wir können nicht aus den Zweien das Eine machen, wie es ein junger Wanderprediger - laut Thomas-Evangelium - vor 2000 Jahren auf dem Sinai einforderte, aber wir können aufhören, das Eine zu entzweien. Damit entkommen wir auch jenem grundlegenden Verkennen, das Jaques Lacan für das in Sprache verstrickte Bewusstsein diagnostiziert.

Der Gegenwart gerecht werden

Zahlreiche neurologische Untersuchungen zeigen auf, dass Menschen dort entscheiden, wo sie nicht sind, dass die vermeintlich bewusst getroffenen Entscheidungen bereits Sekunden vorher stattfinden und gemessen werden. Wir entscheiden in der Gegenwart, dumm ist nur, dass das versprachlichte Bewusstsein zwar von der Gegenwart weiß, aber nicht in ihr zuhause ist. Inmitten der Gegenwart mangelt es ihm an Gegenwärtigkeit. Fortwährende Geschwätzigkeit, auch wenn gar keine Gesprächspartner anwesend sind, lenkt uns ab davon, dass wir dieser Augenblick sind.

Das sich daraus ableitende westliche Übungsverständnis, stellt Peter Sloterdijk in seinem Buch: „Du musst dein Leben ändern“ wie folgt dar: „Als Übung definiere ich jede Operation, durch welche die Qualifikation des Handelnden zur nächsten Ausführung der gleichen Operation erhalten oder verbessert wird, sei es als Übung deklariert oder nicht“.

Das eigentliche Ziel bleibt hier unbewusst und ungewusst. Die darin enthaltene Blindheit dem Augenblick und der Gegenwärtigkeit gegenüber, begründet die Existenz aller möglichen Leistungspyramiden. Weil das Sich-selbst-im-Weg-Sein normal ist, nehmen wir es hin, dass nur „Einer von Zehntausend“ mit derartigem Üben ankommt, dass all die anderen über die Routine nicht hinaus kommen. Gefeierte Spitzensportler und Ausnahmemusiker sind Zeugen des Versagens dieser Übungsphilosophie. Sein Leben zu ändern, ist leicht gefordert. Vielleicht sollte man erst einmal damit beginnen, sein Leben zu leben.

Wo aber kommen diese Ausnahmepersönlichkeiten an? „Ein Ausnahmemusiker ist da, wenn er da ist, das macht den Unterschied aus. All die anderen kommen über die Routine nicht hinaus“, lehrt die Harvard-Dozentin, Frau Prof. Ellen Langer und spricht von mindfulness. Bezogen auf Achtsamkeit, steht Sloterdijks Anleitung für das ebenso endlose wie hilflose Streben nach Achtsamkeit, um diese jedes Mal nach dem Üben sogleich wieder einzubüßen. Selbst der Fortschritt ist hier noch ein Ausdruck des Verkennens und des Ignorierens unseres achtsamen und bewussten Seins.

Wenn Verbesserung oder Fortschritt lediglich ein Ausdruck dessen ist, dass man sich etwas weniger selbst im Weg ist, wenn jegliche Meisterschaft darauf basiert, dass man eins mit sich und seinem Tun ist, warum dann noch die Zeit damit vergeuden, nach Verbesserung oder Fortschritt zu streben, anstatt gleich damit aufzuhören, Uneins-Sein zu kreieren? Das Zen-Projekt zielt nicht ab auf Verbesserung, sondern auf das Eins-Sein mit seinem Tun, das Eins-Sein mit sich selbst im Tun, alles andere folgt daraus.

1) Dalai Lama: Wenn man die geistigen Hemmnisse gänzlich beseitigen will, bleibt nur der Weg, sich auf die Realität selbst einzulassen, weil das eigentliche Problem in einem falschen Verhältnis zur Realität, einer falschen Wahrnehmung der Realität besteht.